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Artikel zum Thema: Ängstliche Reiter

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Beitrag von Gast Sa Sep 29 2012, 19:30

Hallo zusammen!

Das habe ich gerade in einem anderen Forum gefunden. Vielleicht auch für den ein oder anderen hier interessant:

Artikel aus der Pferdezeitschrift PEGASUS, Heft 1/2005. Autor: Christiane Gohl (Veröffentlichung im Forum mit freundlicher Genehmigung der Redaktion)

Wohin ist die Unbefangenheit des Freizeitreiters verschwunden?

Einfach so losreiten. Sich neuen Situationen stellen, sich selbst und dem Pferd vertrauen und dabei vielleicht auch mal kleine Risiken eingehen. Für die erste Freizeitreitergeneration war das eine Selbstverständlichkeit. Heute dagegen werden fast häufiger die Risiken und Gefahren des Reitens diskutiert, als die Pferde gesattelt. Irgendwann zwischen den "Reiterträumen" und dem "Tanz mit Pferden" hat den Freizeitreiter der Mut verlassen, die Unbefangenheit, die uns vor Jahren aus den Reithallen herausführte. Sind wir auf dem besten Weg wieder hinein? Ein Fall für den PEGASUS-Brennpunkt.


"Auf den ersten Kilometern begleitete uns dann noch unser Gastgeber auf seinem wunderschönen Quarterhorse und wies und die besten Wege..." Ein Zitat aus einem Wanderreiter-Bericht, verfasst in den achtziger Jahren. Der Autor freute sich über den unerwarteten Rittführer und erzählte von entspanntem Klönen und Naturgenuss ohne Blick auf die Karte.
Als ich eigenen Übernachtungsgästen jedoch kürzlich Begleitung anbot, schlich sich Panik in die Augen der Rittführerin: "Aber....aber höchstens mit Toughy. Und ohne die Hunde!" Danach wurde mir wortreich erklärt, daß die Gastpferde überhaupt nicht an fremde Reiter gewöhnt seien. Großpferde machten sie nervös und Reitbegleithunde erst recht. Infrage käme also allenfalls eine Begleitung per Isländer und in weitem Abstand.
Ein paar Tage später ein Ausritt, dabei eine Flußüberquerung. Der Bach ist nach dem letzten Regen etwas reißend geworden. "Reit einfach rein, die Pferde machen das schon!" rate ich meiner Mitreiterin. Die erblaßt. "Können wir nicht irgendwie führen?" Ich denke an einen längst vergangenen Wattritt, bei dem mein Pony durch den Riel schwamm, erinnere mich an Jagden, auf denen wir die Bäche einfach sprangen und an verwegene Badefreuden mit Pferden im Baggersee. "Leichtsinn!" urteilt meine Mitreiterin. Wirklich?
Um nicht falsch verstanden zu werden: Natürlich soll mit diesem Text keine blinde Nostalgie gefördert werden. Nicht alles, was Freizeitreiter vor zwanzig oder dreißig Jahren anstellten, war richtig oder gar pferdefreundlich. Allerdings lag über allem eine Atmosphäre der Ungezwungenheit, die Reiter und Pferd den Zugang zueinander erleichterte. Nicht unbedingt den perfekten Zugang - mitunter war es mehr ein Zusammenraufen als die absolute Harmonie -, aber doch eine Beziehung, die Freizeitreiter der ersten Stunde heute noch von ihrem ersten Pferd schwärmen lassen, einem Pferd, das allen Fehlern zum Trotz oft ein biblisches Alter erreichte. Heute dagegen wird über Harmonie viel geredet, im praktischen Umgang mit dem Pferd regiert jedoch Unsicherheit. Wir schwärmen von der klassischen "Lègéreté", aber von der selbstverständlichen "Leichtigkeit" der ersten Jahre - die letzlich ja sogar einer Reitweise ihren Namen gab! - ist kaum noch etwas zu spüren. Was also hat sich verändert? Was hat auf Pferd und Reiter eingewirkt, und, gibt es womöglich einen positiven Weg zurück?

Äußere Bedingungen

Als die Freizeitreiterbewegung in den siebziger und achtziger Jahren endgültig ihren Siegeszug antrat, schienen das Pferd und die damit verbundenen Dienstleistungsberufe zum Aussterben verurteilt. Hufschmiede zum Beispiel gab es immer weniger, Pensionställe boten nur Boxenhaltung. In der Praxis bedeutete das oft, zum Schmied zu reiten, wenn der Meister denn überhaupt geruhte, den Freizeitreiter mit einem Termin zu beehren! In meinem Fall führte der Weg durch die Vororte einer Großstadt, und zwar keineswegs ruhige Villenviertel, sondern lebhafte Bezirke mit Straßenbahnen und zweispurig fließendem Verkehr. Hupkonzerte inbegriffen. Sonderlich nervös machte mich das nie, und wenn ich anderen Freizeitreitern davon erzählte, diskutierten wir auch weniger die Straßenbahn, als die Frage, ob der Schmied den Termin dann wenigstens einhielt...
Haltungstechnisch teilte ich mir damals eine Weide mit anderen Freizeitreitern. Mit gezieltem Einsatz von Charme und Tränen hatten wir einem Bauern ein Wiesenstück neben der Bundesstraße abgeschwatzt - damals redete noch niemand von "Stillegungsflächen". Nachts konnte man die Pferde dort nicht lassen, weshalb wir sie denn jeden Morgen vor der Arbeit "rüberritten". Über die Straße, ohne Sattel, mit zwei bis drei Handpferden, im Herbst oft im Dunkeln und bei Regen...
Heute dagegen stehen unsere Vierbeiner in Ställen mit Ausläufen, Weiden und Reitplatz nebenan. Natürlich kommt der Hufschmied ins Haus, auf Wunsch auch der Hufpfleger oder Huforthopäde. Er wird sich hüten, Termine nicht einzuhalten - die Visitenkarte der Konkurrenz hängt schließlich schon an der Pin-Wand. Verglichen mit früheren Jahren leben wir in einem Service-Wunderland. Die Pferdehaltung fordert uns in Sachen Mut und Organisation praktisch nichts mehr ab. Oft hat das jedoch fatale Konsequenzen: Der Freizeitreiter im Vier-Sterne-Stall gleicht dem Ferntouristen im Vier-Sterne-Hotel: Jedes Verlassen der Anlage wird zum Abenteuer! Wobei uns die diversen Dienstleister zusätzlich verunsichern: Kann das Pferd ohne Hufschutz überhaupt auf Asphalt laufen? Ist der neue Dressursattel fürs Gelände geeignet? Verliert der Gang des Pferdes an Kadenz, wenn ich es mal richtig "knacken" lasse?


Die Reiter
Der Freizeitreiter der siebziger und achtziger Jahre verfügte in der Regel entweder über eine sehr gute oder gar keine Reitausbildung. Ersteres betraf die "Umsteiger", die dem Kasernenhofton des Vereinsstalles entflohen - nachdem sie vorher von alten Kavalleristen ordenlich gedrillt worden waren. Wer das eine Zeitlang durchgehalten und wehrige Schulfperde und brüllende Reitlehrer überlebt hatte, saß wie angeklebt auf dem Freizeitpferd und kannte keine Furcht. Das andere Extrem war der klassische "Von-Null-auf-Pony-Typ" auf den Spruen Ursula Bruns´. Auch der war nicht ängstlich: Schon die Entscheidung zum Pferdekauf forderte hier ja einen gewissen Mut, und danach ging man mit naiver Sicherheit an die Sache heran. Insofern traf man sich ganz selbstverständlich am Sonntag zum Vereinsausritt: Zwanzig Pferde, die einander nicht kannten, wurden in allen Gangarten nebeneinander, vor- und hintereinander geritten, ohne daß jemand sich sorgte. Schlug doch mal eins aus, bemühte man keine Verhaltensforschung, sondern ahndete die Ordnungwidrigkeit kurz und selbstverständlich. Schließlich wollte niemand einen schlechten Ruf riskieren! Aus dem gleichen Grund wagte man auch keine Ängste zu äußern und ständig "Halt!" zu schreien. Natürlich war hier mitunter auch Alkohol zum Mutmachen im Spiel, selbstverständlich ritt mancher nur, um dem Ehepartner einen Gefallen zu tun und fürchtete sich auf dem Pferd zu Tode. Tatsächlich kam es aber relativ selten zu Unfällen. Man ließ die Pferde laufen - und die kamen mit der "Wilden Reiter-GmbH" weit besser zurecht, als mit dem zögerlichen Verhalten des "akzeptiert ängstlichen Reiters" von heute, der sie mit ständigem Zügelzug und dauerdem Wechsel zwischen Reiten und Führen nervös macht.
Die Reitausbildung des damaligen Freizeitreiters lag meistens in den Händen von Leuten aus den eigenen Reihen, oft Kindern der allerersten "Ponyreiter-" Generation, die irgendwie einen Trainer-C-Schein erwarben und dann ihr Wissen weitergaben. Von Reitkunst war das weit entfernt und oft genug hatten auch die Leher nur selten eine Reitschule von innen gesehen. Allerdings kannten sie ihre Klientel - persönlich und generell - und vermittelten ihr genau das Minimum an Können, das es brauchte, um halbwegs gefahrlos und pferdefreundlich durch den Wald zu kommen. Heute dagegen ist auch in Freizeitreiterkreisen anerkannt, daß Reitunterricht sein muß. Das Reitlehrerangebot hat sich dabei enorm erweitert, der Freizeitreiter hat die Qual der Wahl. Diese bewirkt allerdings auch eine Verunsicherung. Lehrerwechsel sind an der Tagesordnung - sobald es anstrengend wird, bietet sich schließlich der nächste an, der mühelose Harmonie verspricht. Dabei kümmert sich kaum noch jemand darum, den Freizeitreiter da abzuholen, wo er wirklich ist, geschweige denn nachzufragen, wo er überhaupt hin will! Viele Kursangebote gehen an den Bedürfnissen des Sonntags-Freizeitreiters vollständig vorbei und die Betroffenen trauen sich auch nicht mehr, sie zu artikulieren: Nur durch den Wald reiten ist schließlich out. Dafür werden Probleme im Alltag heute weitgehend akzeptiert: Wenn ein ängstlicher Reiter in der Gruppe ist, reiten alle Schritt. Wenn ein Pferd schlägt, halten die anderen Reiter Abstand. Und da dies der Geselligkeit und dem Spaß am Ausritt nicht gerade zuträglich ist, reitet man eben seltener aus....

Die Pferde

Das Ur-Freizeitpferd war erstens in der Regel ein robustes Pony und zweitens ein "Pferd fürs Leben". Wenn man es erst hatte, raufte man sich damit zusammen, machte mehr oder weniger Kompromisse - und da die meisten Robusten eher gemütliche und friedfertige Zeitgenossen sind, führte das in aller Regel zu einer halbwegs harmonischen Koexistenz zwischen Pferd und Reiter. je länger man zusammen war, desto besser klappte es.
Heute sind die Anforderungen an das Pferd erheblich gestiegen, die Ziele werden höher gesteckt. Das heißt zwangsläufig, daß sie mit einem einzigen Pferd nicht mehr zu erreichen sind. Das ideale Anfängerpferd trägt den Reiter nicht zum Turniersieg, der brave Robuste bringt es nicht bis zur Piaffe. Der Pferdehandel hat sich dieser Entwicklung nicht nur angepaßt, sondern forciert sie nach Kräften - die meisten Trainer sind schließlich auch Händler und verdienen am Pferdewechsel. Das Leasing-Pferd ist folglich keine Ausnahme mehr, oft wird das Pferd alle zwei bis drei jahre getauscht. Klar, daß dann keine Zeit bleibt, Vertrauen zueinander aufzubauen. Oft erfolgt der Wechsel auch zu früh unf der Reiter fühlt sich mit dem "Eine Nummer größer"-Pferd überfordert. Die Naivität und ursprüngliche Selbstsicherheit des Anfängers geht schneller verloren, wenn er welchselnde Pferde mit unterschiedlichen Macken reitet. Das ist zwar grundsätzlich positiv zu sehen, da er dabei ja auch Erfahrung sammelt. Nur tut er das hier nicht wie im Reitstall-Unterricht unter Aufsicht des Lehrers auf wechselnden Schulfperden, sondern ist zwischen den Kursen mit dem eigenen Pferd auf sich gestellt.
Hinzu kommt der Traumpferde-Wahn: Pferde aus aller Welt sind erschwinglich geworden, das Robustpferd im Stall des Freizeitreiters weicht immer häufiger dem Vollblut oder Warmblut, das Pony hinterm Haus wird gegen den Friesenhengst im Stall eingetauscht. Unfälle, Vertrauensverlust und Ängste sind hier vorprogrammiert.

Und wenn das Fohlen aus der eigenen Stute ausgebildet wird? Früher ging man das pragmatisch an und wollte vor allem möglichst schnell in den Sattel. Bodenarbeit galt als Mittel zum Zweick, und war das Pferd erst zugeritten, traf man es auch gleich ein paar Wochen später beim Vereinsausritt an. Heute dagegen muß die Wahl zwischen mannigfaltigen Bodenarbeitsmethoden getroffen werden. Man belegt diverse Kurse und schult das Fohlen im Roundpen und Spielepark. Für schlichte Spaziergänge an der Hand bleibt da kaum Zeit, und die ohnehin schon angstbesetzten Sonntagsausritte mit dem erwachsenen Pferd mag man sich nicht auch noch durch Mitnahme eines Handpferdes erschweren. Das junge Pferd wird in einer künstlichen Welt groß - genau, wie die "spinnerten" Turnierpferde, zu denen wir Freizeitreiter vor zwanzig Jahren verächtlich hochguckten!

Sicherheitsvorkehrungen

Im Internet kursiert zur Zeit ein Artikel, der sich in satirischer Weiße mit dem Thema "Kindheit in den siebziger Jahren" auseinander setzt. Der Autor äußert darin augenzwinkernde Verwunderung darüber, daß man damals Radfahren ohne Helm überlebte und Kinder nicht verloren gingen, obwohl man sie ohne Handy zum Spielen hinausschickte. Ähnliches könnte man auch über die wachsenden Sicherheitsbedürfnisse des Freizeitreiters verfassen: Während man früher schon die Reitkappe nicht als Schutz, sondern als angeberisches Beiwerk der Turnierreiter-Ausrüstung betrachtete, trägt man heute Sicherheitsweste und Helm - der Westernreiter versteckt letzeren im Stetson. Nun wäre auch das nichts Schlechtes, würde es denn tatsächlich zur höherern (Selbst)Sicherheit des Reiters beitragen (Das eine Reitkappe im Falle eines Sturzes schützt, ist allerdings zweifellos erwiesen, Anm. von Galoppi). Tatsächlich ist aber eher das Gegenteil der Fall: Mit dem (vernünftigen) Einstecken des Handys vor dem Ausritt kommt der Gedanke, was denn passiert, wenn man nun beim Sturz ohnmächtig wird und das Handy nicht bedienen kann. Dann braucht man nicht mehr nur das Handy, sondern auch noch einen Mitreiter, eine Notiz an der Pinwand bezüglich der Reitstrecke, eine Erste-Hilfe-Ausrüstung.... und vielleicht bleibt man doch lieber in der Bahn. In manchen Freizeitreiterställen wird Sicherheitsbewußtsein zur Gruppenhysterie und die selbstauferlegten Einschränkungen grenzen ans Absurde. Einzelreiter trauen sich hier kaum aus der Reihe zu tanzen, und so reitet denn niemand mehr allein aus, läßt niemand mehr die Zügel durchhängen, reitet niemand mehr an der Straße entlang, wird niemals ein Canter zum genüßlichen Jagdgalopp. Natürlich überträgt sich die Nervosität der Reiter dabei auf die Pferde - ein Teufelskreis schließt sich

Konsequenzen
Die Frage ist nun: Wollen wir das alles? Haben wir die Freude am zwanglosen Umgang mit dem Pferd wirklich aufgegeben oder vermissen wir etwas? Wenn Letzteres zutrifft, wird es Zeit, etwas zu tun! Wir müssen neues Selbstbewußtsein entwickeln, Ängste niederkämpfen und selbstbestimmte Entscheidungen treffen. Das kann zum Beispiel die Entscheidung für das geliebte Anfängerpferd sein: Wozu wechseln, obwohl man doch ganz glücklich ist? Wenn ich weiß, daß ich nur sonntags zum Reiten komme, muß ich die Andalusier- und Araberträume eben aufgeben. Als Lohn winkt entspanntes Reiten auf dem gutmütigen Robusten. Mitunter gilt es, sich Gruppendruck zu entziehen: Ob es Leichtsinn ist, allein auszureiten oder auch mal Richtung Heimat zu galoppieren, entscheide ich - nicht meine Freunde oder Stallvermieter! Und mitunter ist es auch gerade der Vierbeiner, dem gegenüber man sich durchsetzen muß! Jahrtausendelang konnten Reitpferde nebeneinader gehen, Wasser durchwaten und Jagden hinter der Meute bestreiten. Folglich kann auch Ihr Pferd lernen, nicht um sich zu schlagen, Bäche zu durchqueren und den Reitbegleithund zu akzeptieren. viellleicht müßten Sie dazu erst mal ein paar Ängste überwinden. Aber dann lohnt es sich. Für Mensch und Pferd!


Die kleinen "Informationskästchen":

Ängste hinterfragen!
Natürlich soll Reiten nicht in wilde Jagd ausarten, selbstverständlich sind gewisse Sicherheitsvorkehrungen sinnvoll - wobei gute Reit- und Pferdeausbildung entscheidender sein kann als das ständig griffbereite Handy. Allerdings ist Reiten ein Sport - und Teil des Lebens. Gänzlich ausschließen kann man Risiken also nicht, ebenso wenig wie beim Autofahren oder Joggen. Insofern sollten Sicherheitsvorkehrungen logisch durchdacht und im Einzelfall hinterfragt werden: Wie weit macht diese Einschränkung das Reiten wirklich sicherer? Welche Rolle spielt Fremdbestimmung? Dazu ein Beispiel:
Jenny ist eine gut durchschnittliche Reiterin und besitzt ein echtes Verlaßpferd - straßensicher, charakterstark, gut ausgebildet. Es steht in einer Haltergemeinschaft, deren Reitgebiet sehr eingeschränkt ist. von seltenen Ausnahmen abegesehen führt der tägliche Rundweg über eine fünf Kilometer lange, gut ausgebaute Strecke. Käme wirklich mal ein Pferd reiterlos nach Hause, könnte sie per Geländewagen in Zehn Minuten abgesucht werden. Trotzdem ist Sicherheit hier oberstes Gebot. Niemand darf allein ausreiten, an der Straße wird geführt, die Hälfte der Strecke (der "Heimweg") nur im Schritt beritten. Jenny hält sich daran, obwohl die Auflagen ihre Sicherheit oft eher beeinträchtigen als erhöhen: So macht das Bummeln ihr Pferd ärgerlich, und Jenny geht jeden Ritt mit einer gewissen Nervosität an.
Dann macht sie Urlaub in einem spanischen Reitbetrieb. Hier geht es stundenlang ins Gelände, zum Teil in menschenleere Gegenden. Bei Unfällen Hilfe zu holen, würde Stunden dauern. Nichtsdestotrotz fühlt Jenny sich sicher! Sie folgt der unbekümmerten Führung auf fremden Pferden durch oft schwieriges Gelände - ohne Angst, ohne abzusteigen, in allen Gangarten.
Ob sie daraus lernt, wie fremdbestimmt und irrational die Ängste sind, die sie zuhause plagen? Ob sie das Zutrauen, das sie der fremden Rittführerin und den fremden Pferden entgegen bringt, auch endlich auf sich selbst und ihr eigenes Pferd überträgt?


Das richtige Pferd
Ein Pferd ist kein Motorrad, das bei halbwegs pfleglicher Behandlung jahrelang seinen Gebrauchs- und Prestigewert hält. Auch der Aktionstölter und der tanzende Hengst lassen bald nach, wenn der Reiter sie nicht entsprechend fördert. Beim Pferdekauf sollten deshalb nicht nur Wünsche eine Rolle spielen, sondern vor allem die Fragen: Kann ich dieses Pferd reiten, habe ich die Zeit, es zu reiten und will ich es reiten? Gerade letzeres wird oft viel zu schnell bejaht. Jeder möchte schließlich einen Treaumtölter oder ein Tanzendes Dressurpferd. Aber will ich meine Zeit dafür auch auf der Ovalbahn verbringen oder im Dressurviereck? Will ich Reitstunden statt entspannte Ausritte? Disziplin statt Leichtigkeit? Theoretisch geht natürlich beides. Aber habe ich so viel Zeit? Reite ich wirklich täglich? kann ich mir und dem Pferd Geländeritte als Ausgleich zur Bahnarbeit bieten und habe ich den Mut dazu? Wichtig ist auch die Orientierung an persönlichen Lebensverhältnissen und Veränderungen. Dazu ein Beispiel:
Simone war immer eine draufgängerische Geländereiterin, für die keine Galoppstrecke zu lang und kein Hindernis zu hoch war. Nun ist sie jedoch allein erziehende Mutter, hat einen wichtigen Job, die Verantwortung führt zu größerem Risikobewußtsein. Obendrein stirbt ihr altes Verlaßpferd, eine vollblutstute. Simone hat jetzt zwei Möglichkeiten. Sie kann sich einen alten Traum vom wunderschönen Lusitano-Hengst erfüllen - und damit nur selten die Reitbahn verlassen. Ausrede: "Einem so schönen Pferd bin ich es einfach schuldig, es anständig zu reiten!". Oder sie kann einen ruhigen Norweger oder Haflinger erstehen, weiterhin lange Geländeritte unternehmen und ihr Kind praktisch "zwischen Pferdebeinen" aufwachsen lassen. Ersteres ist zweifellos besser fürs Prestige. Aber ist es auch besser für Simone?

Was ist eigendlich Leichtsinn?
Leichtsinn ist zumindest im reiterlichen Bereich kein klar definierter Begriff. Ob man etwas wagen kann oder nicht, hängt fast immer vom Ausbildungsstand von Reiter und Pferd ab. Eine Aktion, die für einen Olympia-Vielseitigkeitsreiter Alltag ist - etwa das Springen eines schweren Geländehindernisses - wäre für den Anfänger lebensgefährlich. ein schlecht ausgebildetes Pferd mit Reithelm und Sicherheitsweste zu besteigen, beinhaltet ein größeres Risiko, als ein altes Verlaßpferd ohne Sattel am Halfter auf die Weide zu reiten. Bezeichnet ein Reiter einen anderen als leichtsinnig, ist das oft nur eine Projektion eigener Ängste. Lassen Sie sich nicht unter Druck setzen, wiegeln sie Manipulationsversuche - "Na, du bist aber leichtsinnig!" - konsequent ab! Was Sie sich und Ihrem Pferd zumuten und bei was Sie sich sicher fühlen, bestimmen allein Sie!

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Beitrag von Nedserd Sa Sep 29 2012, 19:57

Ein sehr guter Artikel!!!!

Man kann fast sagen er spricht mir aus der Seele Yes

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Beitrag von Bláinn Sa Sep 29 2012, 20:26

STimmt wirklich gut geschrieben!!!

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Beitrag von Samwise Sa Sep 29 2012, 22:00

Toller Artikel, der mich sehr nachdenklich macht. Die im Artikel beschriebene Erfahrung teile ich voll und ganz.

Als Kind/Teenager bin ich Anfang der Achziger täglich auf Ponies und einem Kleinpferd ausgeritten, ohne je Reitunterricht gehabt zu haben. Wir hatten keinen Reitplatz sondern haben stundenlange Ausritte unternommen, teils entlang befahrenen Strassen und immer ohne Sattel nach dem Motto: Einfach rauf und los. Meine Schwester und ich ritten ohne erwachsene Begleitung, wir hatten keine Reithelme oder sonstige Reitausrüstung, im Sommer ritten wir oft barfuss und in kurzen Hosen. Wir machten uns keine Gedanken um Sicherheit etc, und auch unsere Eltern waren nicht sehr besorgt um uns. Natürlich gab es auch Unfälle, aber das gehörte einfach dazu. Wir dachten nicht zu sehr darüber nach, welche Hilfen wir dem Pferd geben müssen etc , wir probierten einfach irgendwas aus und wenn es nicht funktionierte, versuchten wir es auf andere Weise. Es war einfach eine glückliche und unbeschwerte Zeit Lächeln

Nach 30 Jahren Reitpause, habe ich vor ca 4 Monaten wieder angefangen zu reiten und wie unterschiedlich ist das Reiten und der Umgang mit Pferden nun geworden. Natürlich spielt der Altersunterschied eine große Rolle: Mit 40 ist man nicht mehr so unbeschwert und beweglich wie mit 10 Jahren.
Nun bin ich viel ängstlicher, ständig mache ich mir Sorgen: um meine Sicherheit und die Konsequenzen, die ein möglicher Reitunfall haben könnte. Ich sorge mich um mein Pferd: Gehe ich richtig mit ihm um, trainiere ich ihn richtig, gebe ich ihm alles was er benötigt um sich zu einem ausgeglichenen Reitpferd zu entwickeln, ist er gesund etc ? Natürlich suche ich die Fehler zuerst bei mir, wenn etwas schiefläuft und ich lese massenweise Bücher über Pferdethemen. Ich mache mir ständig Gedanken um meinen Reitstil und meinem Umgang mit dem Pferd, versuche immer mich zu verbessern und dazuzulernen. Mein Hobby habe ich mittlerweile fast so organisiert wie meinen Job, inclusive eigenem Trainingsplan, Kurzzeit und Langzeitzielen mit Milestones und Lernerfolgprotokoll für mich und mein Pferd. Natürlich habe ich 1-2 x pro Woche Reitunterricht und wenn ich mein Pferd mal 2 Tage hintereinander nicht beschäftige, habe ich ein schlechtes Gewissen.
Das alles kann sehr anstrengend sein, und trägt bestimmt nicht dazu bei, meine allgemeine Ängstlichkeit in Bezug auf das Reiten zu überwinden.
Ich weiss daß die unbeschwerte "Bille und Zottel"-Zeiten nicht wiederkommen, aufgrund meines Alters und meiner "Lebenserfahrung" kann ich nie wieder so unbeschwert sein wie damals - aber ich wünschte, ich könnte im Bezug auf mein wiedergefundenes Hobby ein wenig loslassen, etwas weniger perfektionistisch sein und ein Stück Unbeschwertheit wiederfinden.
Vielen Dank für den Artikel und für die Anregung dazu !




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Beitrag von fribi So Sep 30 2012, 09:03

Auch ich habe mich in dem Artikel immer wieder gefunden - und auch Beispiele aus meinem Stall passen dazu!

Ich zähle mich inzwischen zum Freizeitreiter, am liebsten gehe ich ins Gelände. Zwar nicht mehr so unbekümmert wie früher, aber immer noch mit Freude und angstfrei. Ja, auch alleine!

Mein Robustpferd ist inzwischen ein richtiges Verlasspferd geworden, ich kann ihn alleine oder in der Gruppe reiten, vorne oder hinten. Dabei auch durchparieren, wenn der Andere noch weiter galoppiert. An der Straße bleibt er ruhig stehen, bis der Verkehr eine Überquerung erlaubt und in Gruselsituationen behält er einen ruhigen Kopf, geht nicht panisch durch.

Dies alles trägt natürlich dazu bei, dass ich eben wirklich angstfrei ausreiten kann. Ich gebe zu, dass ich im Lauf der Jahre nicht mehr so unbegfangen auf ein fremdes Pferd sitzen würde, aber wenn man das für sich richtige Pferd hat, macht freizeitreiten unheimlich Spaß!

Ich freue mich, dass ich mit meinem "Ollen" gebisslos ins Gelände kann, auch auf neuen Wegen - und bedauere manche "Dressurcracks" aus dem Stall, die in der Bahn zwar eine bessere Figur machen als ich, sich ins Gelände jedoch nur mit Schlaufis wagen............. wenn überhaupt........... Pfeiff
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Beitrag von JonNa So Sep 30 2012, 09:37

Mir kommen viele Gedanken dazu auch sehr bekannt vor und meine Mutter, die als Kind und Jugendliche geritten ist und dann mit fast fünfzig wieder anfangen wollte, ist leider gescheitert!! Nun hat sie ihren Lenno und macht Bodenarbeit mit ihm oder geht mit ihm spazieren. Beide sind auch so glücklich!

Ich bin als Kind auch genauso unbeschwert durchs Gelände gezogen wie manch anderer, häufig auch in kurzer Hose und mit Sandalen. Wir haben Wettrennen auf unseren Ponys in irgendeinem Sandweg gemacht ohne Sattel und mit ausgebreiteten Armen - Nur fliegen ist schöner! Wir haben das geliebt und auch unsere Ponys waren zufrieden!

Dann kam wie bei den meisten auch bei mir Zeit in der ich jahrelang Reitunterricht bekam und mein Hobby reiten wurde geprägt von trainieren und kleineren Turnieren für die man üben musste. Im nachhinein muss ich sagen, dass es anstrengend war und nicht mehr viel mit meinem Kindertraum vom Reiten zu tun hatte. Aber das viel mir erst vor einigen Jahren auf, denn dann hörte ich auf mit Reitunterricht und habe nur zwischendurch mal hier und mal da Kurse in Bodenarbeit, Bent Branderup oder auch Pat Parelli genommen. Aber auch hier wieder üben üben üben und meinem Pferd sah ich nicht so richtig die Freude an. Ich habe dann angefangen mir mein Pferd anzusehen und habe intuitiv gehandelt und war immer darauf bedacht dass sie auch glücklich ist. Ich habe dann eine tolle Lehrerin gehabt, von der ich viel gelernt habe und dadurch ist eine Verbindung entstanden, die mich jetzt wieder Ausritte und Spaziergänge mit meinen Pferden genießen lässt, die ich als Kind schon genossen habe. Wir genießen Ausritte und galloppieren zwischendurch nur mit Halsring über Weiden, Sandwege oder im Wald und genießen freie Spaziergänge. Und auch Johnny und ich genießen gemeinsame Ausritte alleine, nur mit Sidepull und nur mit Pads. Wir traben und werden nun bald ans galloppieren gehen. Er hört fantastisch auf miene Körpersignale und steht selbst aus einem schnellen trab ohne dass ich die Zügel auch nur angefasst habe. Das gefällt beiden - Mensch und Pferd. Und beide haben, auch gerade durch die freie Bodenarbeit, das abstrecken und biegen gelernt, haben eine super Rückenmuskulatur und freuen sich wenn ich komme und arbeiten sogar frei auf der Weide mit! Die richtige Bodenarbeit, durch die eine Bindung zwischen Mensch und Pferd geschaffen wird, erleichtert vieles und nimmt beiden auch ein bisschen Angst vorm reiten, da sich beide mehr aufeinander verlassen können.

So liebe ich mein Hobby und so habe ich Entspannung vom Alltag!
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Beitrag von ranimaus So Sep 30 2012, 10:21

Ich erlebe ja erst seit 14 Jahren den Umgang mir Pferden und wünsche mir manchmal heute, dass ich noch so unbedarft und naiv in den Sattel steigen könnte, wie damals in meinem ersten Jahr mit meiner Murani.

Murani war echt ein cooles Geländepferd und ich liebte es mir ihr durch den Wald zu reiten und die Seele baumeln zu lassen.

Heute bin ich im Gelände eher ein ängstlicher Reiter geworden und frage mich manchmal, wie die Zeit einen verändern kann.

Man hinterfragt zu vieles und macht sich über zu viele Sachen zu viele Gedanken.

Man wird aber auch älter und ist natürlich nicht mehr so gelenkig auf dem Pferd und man hat natürlich so mit der Zeit seine vielleicht auch negativen Erfahrungen im Umgang mit dem Pferd sammeln können.

Ich sehe mich jetzt im Moment wieder am Anfang und nutze diesen Art Neubeginn, um mit Happy vielleicht wieder unbeschwerte Ausritte ohne viele Ängste zu erleben.
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